Vom 21. bis 23. Juni 2023 fand das IAMO Forum in Halle (Saale) zum Thema International Agricultural Trade, Geopolitics and Global Food Security statt. Das Forum versammelte hochkarätige Vertreter:innen aus Forschung, Zivilgesellschaft, Agrarindustrie und Politik, um die aktuellen Herausforderungen des internationalen Agrarhandels im Kontext der Hungerbekämpfung zu diskutieren. Die Themen reichten von internationalen Handelsbeziehungen und Ernährungssicherheit bis hin zu geopolitischen Risiken und globaler Zusammenarbeit. Mehr als 170 Gäste aus 24 Ländern nahmen an den insgesamt 21 Sitzungen teil.
Der internationale Agrarhandel ist der Schlüssel zur Verbesserung der globalen Ernährungssicherheit. Er gewährleistet einen besseren Zugang zu diversifizierteren und nahrhafteren Nahrungsmitteln, insbesondere in Ländern mit niedrigem Einkommen, und dient als Sicherheitsnetz gegen Nahrungsmittelknappheit aufgrund von Klimarisiken, Krisen, politischen Spannungen und anderen Schocks. Massiv zunehmende geopolitische Verwerfungen, wie die eskalierende Rivalität zwischen China und den USA, der andauernde Krieg in Europa sowie die vermehrten Forderungen nach Decoupling und nationaler Abschottung stellen das internationale (Agrar-)Handelssystem und die globale Nahrungsversorgung vor große Herausforderungen.
Vor diesem Hintergrund diskutierten die Teilnehmenden am ersten Konferenztag vor allem die Frage der aktuell zu beobachtenden Anti-Globalisierungsstimmung in der Weltwirtschaft. Nach einer langen Phase des Abbaus von Agrarhandelsschranken wird die globale Ernährungswirtschaft derzeit mit einer zunehmenden Isolation und Autarkie durch handelsbeschränkende Maßnahmen wie Sanktionen und Exportbeschränkungen konfrontiert, stellt IAMO-Direktor Thomas Glauben in seiner Eröffnungsrede fest. Die Expert:innen sind sich jedoch einig, dass eine Abkehr von den Prinzipien der freien Marktwirtschaft und eine De-Globalisierung des Agrarhandels durch Populismus und Protektionismus eine erhebliche Gefahr für die weltweite Ernährungssicherheit darstellen. So warnte Alexander Libman von der Freien Universität Berlin vor einem neuen "kalten Wirtschaftskrieg", und verwies auf die hohen gesellschaftlichen Kosten sowie die Belastung natürlicher Ressourcen, die mit einer De-Globalisierung verbunden sind. Tom Hertel (Purdue University, USA) bekräftigt, dass in Folge des Klimawandels der marktwirtschaftlich orientierte globale Agrarhandel noch eine weitaus größere Rolle spielt, wenn es um Reduktion von Versorgungsrisiken geht. Im Rahmen einer Podiumsdiskussion erörterte das neu gegründete „Halle Academic Quartet“ mit seinem Gast Rudolf Adam (Ex-Vizepräsident des Bundesnachrichtendienstes) den Nexus Diplomatie, Sicherheitspolitik und globale Kooperation.
An Tag zwei standen die jüngsten Krisen und die Rolle des internationalen Handels für die Ernährungssicherheit im Fokus. Ekaterina Krivonos (FAO, Rom) betonte, dass der weltweite Hunger zunimmt und verschiedene Faktoren wie ungleiches Wachstum, COVID-19, Klimawandel und lokale Konflikte dazu beitragen. Der Handel in den Ländern des Globalen Südens gewinnt an Bedeutung. Die größten Treiber des Welthandels bleiben Bevölkerungswachstum, Pro-Kopf-Verbrauch sowie eingeschränktes Produktionswachstum im Globalen Süden. Weitere Vorträge veranschaulichten die aktuellen Entwicklungen der Handelspolitik in der Balkanregion, in China und in der Ukraine. So berichtete Jing Zhu (Nanjing Agricultural University, China), dass China künftig seine Importe stärker diversifizieren wird, um geopolitischen Risiken zu begegnen. Veronika Movchan (Institute for Economic Research, Ukraine) schilderte, dass aufgrund kriegsbedingter Folgen sowie instabiler Vereinbarungen für Ausfuhren aus den Schwarzmeerhäfen die Getreideexporte aus der Ukraine weiter ungewiss bleiben.
Wie globale Wertschöpfungsketten und Ernährungssicherheit in Zeiten geopolitischer Spannungen gewährleistet werden können und zudem Nachhaltigkeitsziele erfüllen, diskutierten am dritten Konferenztag die Gäste der moderierten Podiumsdiskussion. Cornelia Berns (Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft) betonte die Rolle funktionierender Wertschöpfungsketten für die globale Ernährungssicherheit und plädierte für multinationale Kooperation. Dabei seien offene sowie transparente Agrarmärkte von erheblicher Bedeutung. Per Brodersen (German Agribusiness Alliance) sprach über die Bedeutung von Transparenz für Kund:innen und Verbraucher:innen und hob ebenfalls die Rolle von Handelsstandards sowie offene Nahrungsmittelmärkte hervor. Etel Solingen (University of California, USA) erklärte, die heimische Nahrungsmittelproduktion müsse nicht immer Priorität haben, sondern das Vertrauen in internationale Institutionen durch Transparenz gestärkt werden. Schließlich glaubt sie, dass Lebensmittel nicht von Wirtschaftssanktionen betroffen sein sollten. Die Bedeutung des freien Handels für die Armutsbekämpfung bekräftigte auch Sergiy Zorya von der Weltbankgruppe. Bei der Diskussion über Handel und Sicherheit während geopolitischer Konflikte seien die geografische Lage und der Zugang zum Meer entscheidende Faktoren. Exportverbote lösten nicht das Problem der Ernährungsunsicherheit. Lena Kuhn, Leiterin der Internationalen Forschungsgruppe China am IAMO, fügte hinzu, dass für Länder wie China trotz freien Handels und möglicherweise öffentlicher Lagerbestände, auch eine widerstandsfähige und ressourcensparende einheimische Ernährungsproduktion notwendig sei und verwies auf die Rolle der Digitalisierung und der Bildung in ländlichen Räumen.
IAMO-Direktor Thomas Glauben resümiert: „Die Konferenz hat gezeigt, dass nicht weniger, sondern sehr viel mehr Kooperation, Handel und Austausch auf internationaler Ebene nötig sind, wenn wir unseren Kindern nicht eine Welt der Armut, des Hungers und der Konflikte hinterlassen wollen.“
Das IAMO Forum 2023 war eine bedeutende Plattform für den Austausch von Fachwissen und die Diskussion zukünftiger Herausforderungen im Agrarhandel. Die Ergebnisse der Diskussionen werden dazu beitragen, Lösungsansätze für eine nachhaltige und sichere globale Ernährung zu entwickeln.
Die Konferenz wurde gemeinsam vom IAMO, der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), der German Agribusiness Alliance und dem Leibniz-WissenschaftsCampus "Eastern Europe - Global Area" (EEGA) durchgeführt.
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die Rentenbank, das Land Sachsen-Anhalt sowie die Stadt Halle haben die Tagung finanziell unterstützt.