Trotz großer Entwicklungsfortschritte in den vergangenen Jahrzehnten befindet sich ein Teil der ländlichen Bevölkerung Chinas nach wie vor in absoluter Armut. Ein staatliches Sozialhilfeprogramm soll besonders den ärmsten Haushalten einen minimalen Lebensstandard garantieren und somit absolute Armut weiter reduzieren. Aufgrund verschiedener Implementierungsprobleme werden die Mittel des Programms jedoch nicht optimal eingesetzt. So werden in einer repräsentativen Stichprobe 79 Prozent der Haushalte unterhalb der Armutslinie nicht berücksichtigt, während 89 Prozent der Empfängerhaushalte gemäß der Armutslinie gar nicht bedürftig sind. Zu diesen Ergebnissen kommen die Forschenden Lena Kuhn, Dr. Stephan Brosig (beide vom IAMO) und Prof. Linxiu Zhang (Center of Chinese Agricultural Policy, Chinese Academy of Science) im Rahmen eines Forschungsprojekts, das sich mit der zielgenauen Auswahl von Transferempfängern und der Zuweisung von Transferleistungen beschäftigt.
Die Regierung der Volksrepublik China veröffentlichte im vergangenen Jahr den 13. Fünfjahresplan, der unter anderem die vollständige Beseitigung absoluter Armut bis zum Jahr 2020 vorsieht. Bereits seit der Einführung des „Rural Minimum Living Standard System“ im Jahr 2007 erhalten ländliche Haushalte unterhalb einer lokalen Armutslinie finanzielle Unterstützung, sogenannte Sozialtransfers. Die Verteilung dieser Sozialleistungen erfolgt jedoch noch sehr ungenau und verfehlt somit oftmals die eigentliche Zielgruppe des Programms. In einigen Regionen Chinas wurden die Anzahl der Empfänger oder die bereitgestellten Mittel durch höhere Regierungsebenen vorab festgelegt. In armen Gegenden führte dies zur Knappheit von Mitteln und somit zum Ausschluss bedürftiger Haushalte, in reichen Regionen zur Zuweisung von Mitteln an Haushalte über der Armutsgrenze.
Eine weitere mögliche Ursache für die Fehlverteilung der Transfermittel ist die mangelhafte Implementierung nationaler Vorschriften. Niedrige Verwaltungsebenen in strukturschwachen Regionen verfügen oftmals über unzureichende finanzielle und personelle Ressourcen, um die tatsächliche Bedürftigkeit von Antragstellern anhand des Haushaltseinkommens zu überprüfen. Des Weiteren begünstigt die Vernetzung zwischen Bewerbern und Verwaltungsangestellten die ungerechtfertigte Zuweisung von Sozialleistungen auf Dorfebene.
Eine stärkere Beteiligung der Zentralregierung an den Implementierungskosten des Programms könnte die Zielgenauigkeit von Sozialtransfers verbessern. Vor allem in strukturschwachen Gebieten könnte diese Unterstützung zu einer besseren Umsetzung der Antragsprüfung beitragen, mit welcher lokale Verwaltungen derzeit oft überfordert sind. Aufgrund unzureichender Einkommensdokumentation im ländlichen China werden nämlich zumindest in näherer Zukunft noch aufwändige Vergabe- und Kontrollverfahren, und somit ein hoher administrativer Aufwand erforderlich sein. Für eine bedarfsgerechte Sozialhilfevergabe empfehlen die Forschenden, mittelfristig einen stufenweisen Einsatz von Sozialtransfers durch Kranken-, Invaliden- und Rentenversicherungen, zumindest jedoch eine bessere Koordinierung vorhandener Sozialleistungen zu diskutieren.
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Weitere Informationen
Der IAMO Policy Brief 31 „Sozialhilfe im ländlichen China: Trägt sie zur Armutsreduktion bei?“ kann auf der nachfolgenden Internetseite kostenfrei eingesehen und heruntergeladen werden: www.iamo.de/publikationen/iamo-policy-briefs.
IAMO Policy Briefs
Mit den IAMO Policy Briefs bezieht das IAMO aufbauend auf die eigene Forschung zu wichtigen agrarpolitischen Fragen Stellung. In der Publikationsreihe werden verschiedene gesellschaftsrelevante Themen kurz und allgemeinverständlich dargestellt. Zur Zielgruppe zählen insbesondere Entscheidungsträger der Politik, Wirtschafts- und Medienvertreter sowie die interessierte Öffentlichkeit. Seit 2011 werden die IAMO Policy Briefs in unregelmäßiger Folge veröffentlicht.