Die Geschichte hinter dem modernen deutschen Wirtschaftsriesen

In ihrem Buch analysieren die beiden Autoren die deutsche Industrialisierung als einen viel längeren, historisch tiefer verwurzelten Prozess als früher angenommen ohne allerdings Phasen beschleunigter Entwicklung und kumulierter Durchbrüche im 19. Jahrhundert in Abrede zu stellen. Erst eine solch langfristige, zumindest bis ins 18. Jahrhundert zurückgehende Perspektive ermöglicht es, die Rolle demographisch-ökonomischer Prozesse, der Markt- und der inneren Staatenbildung beim Übergang zum modernen Wachstum adäquat zu erfassen. Die Erklärung regionaler Unterschiede in der landwirtschaftlichen und vor allem in der industriellen Innovationsfähigkeit, die auch die divergierende Entwicklung privatwirtschaftlicher und staatlicher Institutionen mit einbezieht steht dabei im Mittelpunkt. Eine weitere wichtige Erkenntnis des Buches ist, dass es das eine, spezifisch deutsche Industrialisierungsmodell so nicht gegeben hat. Vielmehr gab es Phasen, die sich durch sehr unterschiedliche Triebkräfte der wirtschaftlichen Modernisierung auszeichneten. Am nächsten an ein „deutsches Industrialisierungsmodell“ kommt noch die erfolgreiche Verbindung von intensivierter Bildung bzw. Humankapitalbildung mit technischem Fortschritt, die es Deutschland ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ermöglichte, zu den führenden Wirtschaftsnationen aufzuschließen. Dieser Aufholprozess in all seinen Facetten bildet einen weiteren Schwerpunkt des Buches.  Zusammenfassend gesagt, Tilly und Kopsidis liefern die Geschichte hinter dem Aufstieg Deutschlands zu einer der führenden Volkswirtschaften der Welt.

Tilly, Richard H.; Kopsidis, Michael (2020) From Old Regime to Industrial State: A History of German Industrialization from the Eighteenth Century to World War I (Markets and Governments in Economic History).University of Chicago Press.