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IAMO Forum 2020: Plenarrednerin Kateryna Schroeder (Weltbank) im Interview

„Der öffentliche Sektor muss eine Rolle spielen bei der Bestimmung öffentlicher Güter, politischer Maßnahmen und Investitionen, um eine effiziente, gerechte und ökologisch nachhaltige Verteilung der Vorteile zu gewährleisten, die mit der Digitalisierung und Transformation der Landwirtschaft verbunden sind.“

Digitale Innovationen werden zukünftig als die wichtigsten Triebkräfte für das Wachstum der Lebensmittelwirtschaft angesehen. Im Hinblick auf das kommende IAMO Forum 2020, das sich mit der digitalen Transformation von Wertschöpfungsketten im Agrar- und Ernährungssektor in Eurasien beschäftigt, führt das IAMO im Vorfeld eine Reihe von Interviews mit Plenarrednern des Forums durch.

Kateryna Schroeder ist Agrarökonomin bei der Weltbankgruppe im Bereich „Food and Agriculture Global Practice“ in Washington, DC. In ihrem Interview mit dem IAMO betonte sie die Bedeutung der digitalen Technologien zur Behebung des Marktversagens entlang der globalen Wertschöpfungsketten im Agrar- und Ernährungsbereich und sprach über die Rolle der staatlichen Politik in diesem Prozess.

IAMO: Frau Schroeder, im neuesten Gutachten der Weltbank haben Sie untersucht, wie digitale Technologien bestehendes Marktversagen entlang der weltweiten Nahrungsmittelketten adressieren (können). Zur Lösung welcher typischen Fälle von Marktversagen können Ihrer Meinung nach moderne Technologien bereits heute einen Beitrag leisten?

Kateryna Schroeder: Eine der charakteristischen Eigenschaften digitaler Technologien liegt darin, dass die Kosten der Erzeugung, Replizierung, Speicherung und Übertragung digitaler Daten auf digitalen Geräten sich im Wesentlichen auf null belaufen. Infolgedessen verändern digitale Technologien die Art sowie Intensität der Informationsflüsse auf Agrarmärkten und führen zu einer drastischen Reduzierung der informationsbezogenen Transaktionskosten sowie - damit verbunden - von Marktversagen. Transaktionskosten, die konzeptionell als die mit dem Austausch von Waren und Dienstleistungen zwischen Käufer und Verkäufer verbundenen Kosten definiert werden, spielen bei den Entscheidungen der Agrarproduzenten zur Ressourcenallokation und demzufolge der Ressourcenallokation auf gesellschaftlicher Ebene eine zentrale Rolle. Dies führt insbesondere dann zu Marktversagen, wenn die Kosten der Transaktion über den Markt zu einem negativen Nutzen führen, der größer ist als der gewonnene Nutzen der Produzenten. Allgemein lassen sich drei Arten von informationsbezogenen Transaktionskosten unterscheiden – Recherche- und Informationskosten, Verhandlungs- und Entscheidungskosten sowie Überwachungs- und Durchsetzungskosten. Bei den Recherche- und Informationskosten handelt es sich um Kosten, die im Zuge der Recherche von Informationen über Handelspartner, Preise sowie die Qualität des Produktes entstehen. Verhandlungs- und Entscheidungskosten betreffen Ressourcen, die für die Aushandlung der Bedingungen eines Vertrags zwischen den Parteien eingesetzt werden, während Überwachungs- und Durchsetzungskosten die für die Überwachung und Durchsetzung des Vertrags aufgewendete Zeit sowie die entsprechenden Kosten umfassen. Durch die gestiegene Verfügbarkeit von Informationen, Vertrauen in Transaktionen sowie die Fähigkeit, sich mit wirtschaftlichen Akteuren entlang der Agrar- und Nahrungsmittelwertschöpfungskette zu verbinden, können die obenstehenden Transaktionskosten erheblich gesenkt werden. Daher können digitale Technologien unterschiedliche Auswirkungen auf die wirtschaftliche Aktivität im Agrarsektor haben. So können erstens Unternehmen und landwirtschaftliche Betriebe bei sinkenden Transaktionskosten neue wirtschaftliche Tätigkeiten aufnehmen, die aufgrund hoher Transaktionskosten in der Vergangenheit ausgeschlossen waren. Beispielsweise können Landwirtinnen und Landwirte neue Technologien einführen oder in neue, früher unerreichbare Märkte eintreten. Zweitens besteht bei existierenden Tätigkeiten die erste Auswirkung sinkender Transaktionskosten in einer Steigerung der Produktivität und Profitabilität. Schließlich gilt bei Transaktionskosten nahe null, dass neue Geschäftsmodelle Innovationen antreiben und zu einem positiven Kreislauf mit weiteren Senkungen der Transaktionskosten führen.

IAMO: Könnten Sie einige Beispiele für die Rolle der Weltbank bei der Förderung digitaler Technologien entlang der Wertschöpfungsketten im Agrar- und Nahrungsmittelbereich in verschiedenen Regionen nennen?

Kateryna Schroeder: Die digitale Agenda im Agrarbereich spielt eine zunehmend wichtige Rolle bei der analytischen und operativen Arbeit der Weltbank. Über die Regionen hinweg engagiert sich die Weltbank auf unterschiedliche Art und Weise bei der Förderung der Nutzung digitaler Technologien im Agrar- und Nahrungsmittelsektor, beispielsweise zur Unterstützung der Entwicklung eines digitalen Innovationsökosystems im Agrarsektor in Kenia, bei der Entwicklung eines digitalen Programms zur Nachverfolgbarkeit von Rindern in Uruguay und der Umsetzung digitaler Kreditpiloten für kleinbetriebliche Landwirtinnen und Landwirte in Myanmar, um nur einige zu nennen.

IAMO: Welche Rolle sollte Ihrer Meinung nach die öffentliche Politik bei der digitalen Transformation der globalen Agrar- und Nahrungsmittelwertschöpfungsketten spielen?

Kateryna Schroeder: Die Rolle des öffentlichen Sektors besteht in der Maximierung der potentiellen gesellschaftlichen Gewinne aus verbesserter Effizienz, Gerechtigkeit und Umweltverträglichkeit, die sich aus der Verbreitung der digitalen Landwirtschaft ergeben, während gleichzeitig die mit digitalen Technologien verbundenen potentiellen Risiken gemildert werden. Die Bereitstellung und Nutzung digitaler Technologien in den Agrar- und Nahrungsmittelsystemen ist im Wesentlichen eine Aufgabe des privaten Sektors, die durch private Gewinne der gewinnmaximierenden Produzenten und nutzenmaximierenden Verbraucherinnen und Verbraucher befördert wird. Allerdings verfügen die wirtschaftlichen Akteure aufgrund eines bestehenden Markt- oder Politikversagens, die mangelnde Verfügbarkeit öffentlicher Güter oder ihrer eigenen begrenzten Rationalität (d.h. unzureichende Informationen über Entscheidungsoptionen sowie die Auswirkungen ihrer Entscheidungen) unter Umständen oft nicht über die richtigen Anreize für rationale Entscheidungen. Aufgrund einiger Eigenschaften digitaler Güter sowie des Agrarsektors bildet die Bereitstellung und Nutzung digitaler Technologien in diesem Bereich unter Umständen für den privaten Sektor auch eine größere Herausforderung. In solchen Fällen liegt der Einstieg für die öffentliche Politik in der Beeinflussung der Anreize und Entscheidungen privater Akteure mit dem Ziel der Maximierung der Effizienzgewinne auf gesellschaftlicher Ebene. Darüber hinaus besteht die Rolle des öffentlichen Sektors in der Maximierung der gesellschaftlichen Gewinne aus der Einführung der digitalen Landwirtschaft, die allerdings nicht vollständig durch privatwirtschaftliche Akteure internalisiert werden können, wie beispielsweise Gerechtigkeit und Umweltverträglichkeit. Letzteres umfasst die Schaffung einer Reihe von Anreizen zur Förderung bestimmter Verhaltensweisen unter privaten wirtschaftlichen Akteuren mit dem Ziel der Maximierung gesellschaftlicher Vorteile unter gleichzeitiger Minderung potentieller (und manchmal unbekannter) Risiken, die die digitale Landwirtschaft eventuell mit sich bringt.

IAMO: Was sind Ihrer Meinung nach die drei wichtigsten Bedingungen für den erfolgreichen digitalen Wandel des Agrar- und Nahrungsmittelbereichs in der Zukunft?

Kateryna Schroeder: Der wichtigste Ausgangspunkt für die Sicherung des digitalen Wandels im Agrar- und Nahrungsmittelbereich besteht in der Unterstützung der Entwicklung der grundlegenden Infrastruktur für die digitale Landwirtschaft in ländlichen Gebieten – sowohl im digitalen (d.h. Netzabdeckung) als auch im nicht digitalen Bereich (d.h. Straßen und Elektrizität). Die zweite wichtige Bedingung liegt im Bestehen von Innovationsökosystemen im Agrar- und Nahrungsmittelbereich in den Ländern, gegebenenfalls durch den privaten Sektor mit Unterstützung des öffentlichen Sektors vorangetrieben. Derartige Ökosysteme bilden die Voraussetzung für die Entwicklung digitaler Lösungen, mit denen bestehende Beschränkungen im Agrarsektor überwunden werden können. Schließlich müssen zur erfolgreichen Umsetzung des digitalen Wandels die mit der Verbreitung seiner Vorteile verbundenen Risiken gemindert werden.  

IAMO: Danke, dass Sie sich Zeit für uns genommen haben.


Das IAMO Forum 2020 „Digital transformation – towards sustainable food value chains in Eurasia“ findet vom 24. bis 26. Juni 2020 in Halle (Saale) statt. Die Einreichung von Abstracts und Vorschlägen für organisierte Sitzungen ist bis zum 24. Februar 2020 möglich. Für weitere Informationen besuchen Sie bitte die Konferenzwebseite.


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