In vielen Transformationsländern befinden sich die Systeme der Landbewirtschaftung noch in einem Reformprozess. Ein gut funktionierendes Rechtssystem erfordert jedoch Akzeptanz und Durchsetzung vor Ort (Rechtsstaatlichkeit). Neueste Erkenntnisse aus einer Befragung von landwirtschaftlichen Betrieben in Kasachstan und Usbekistan deuten darauf hin, dass die gesetzlichen Vorschriften in vielfältiger Hinsicht von der tatsächlichen Praxis in der Landbewirtschaftung abweichen. Im aktuellen IAMO Policy Brief 38 zeigen IAMO-Direktor Thomas Herzfeld und IAMO-Wissenschaftlerin Zarema Akhmadiyeva daher auf, welche erheblichen Unterschiede zwischen den gesetzlichen Landrechten und der Wahrnehmung der Bäuerinnen und Bauern in Kasachstan und Usbekistan bestehen.
Sowohl in Kasachstan als auch in Usbekistan wird die Umsetzung des gesetzlichen Landrechtssystems durch verschiedene Faktoren beeinträchtigt. Geringe institutionelle Kapazitäten in lokalen Verwaltungsorganen, um Landreformen in Kasachstan umzusetzen, ebnen den Weg für Gesetzesmissbrauch durch staatliche Behörden oder Bäuerinnen und Bauern. Persönliche Beziehungen von Bäuerinnen und Bauern zu lokalen Behörden machen es möglich, gegen gesetzliche Beschränkungen der Landnutzung zu verstoßen, ohne sanktioniert zu werden. In ähnlicher Weise unterstützen Rechtsinstitutionen oft den Machtmissbrauch durch lokale Behörden oder agrarpolitische Maßnahmen auf den Produktmärkten widersprechen den gesetzlich vorgeschriebenen Landrechten der Bäuerinnen und Bauern, so vor allem in Usbekistan. Bis vor kurzem erschwerten jährlich verpflichtende Quoten für die Baumwoll- und Getreideproduktion, dass Bäuerinnen und Bauern ihre formal bestehenden Rechte hinsichtlich der Entscheidungen über die Landbewirtschaftung, die Auswahl der Lieferanten von Produktionsfaktoren oder Vermarktungswege ausüben konnten. Landwirtinnen und Landwirte riskieren, ihr Land zu verlieren oder sanktioniert zu werden, wenn sie die staatlichen Vorgaben nicht erfüllen.
Um zu untersuchen, inwieweit die gesetzlichen Landrechte der Landwirtinnen und Landwirte mit ihrer Wahrnehmung und der realen landwirtschaftlichen Praxis übereinstimmen, untersuchten die beiden Autoren Akhmadiyeva und Herzfeld mehrere Dimensionen der Landrechte, ein so genanntes Bündel von Rechten. Die Antworten von fast 1000 Bäuerinnen und Bauern, die 2019 in Kasachstan und Usbekistan befragt wurden, wurden mit den Gesetzestexten in beiden Ländern verglichen. Ihre Untersuchung zeigt, dass Abweichungen der realen landwirtschaftlichen Praxis von den gesetzlichen Rechten in zwei Richtungen auftreten: 1) Landwirtinnen und Landwirte sind an Aktivitäten beteiligt, die gesetzlich nicht erlaubt sind, und 2) Landwirtinnen und Landwirte nutzen nicht alle Möglichkeiten, die ihnen die nationale Bodengesetzgebung bietet. Die interessantesten Ergebnisse der Studie sind, dass Verstöße gegen gesetzliche Beschränkungen in Bezug auf Landübertragungen unter den kasachischen Landwirtinnen und Landwirten weit verbreitet sind; und dass ein großer Teil der usbekischen Landwirtinnen und Landwirte der Möglichkeit beraubt wird, ihre Rechte auf Generierung landwirtschaftlicher Erträge und Einkommen frei umzusetzen.
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Weitere Informationen
Der IAMO Policy Brief 38 „How to align formal land rights with farmers’ perceptions in Central Asia?“ ist in der englischen und russischen Sprache erschienen. Die Ausgaben können auf der folgenden Webseite kostenfrei heruntergeladen werden: www.iamo.de/publikationen/iamo-policy-briefs.
IAMO Policy Briefs
Mit den IAMO Policy Briefs bezieht das IAMO aufbauend auf die eigene Forschung zu wichtigen agrarpolitischen Fragen Stellung. In der Publikationsreihe werden verschiedene gesellschaftsrelevante Themen kurz und allgemeinverständlich dargestellt. Zur Zielgruppe zählen insbesondere Entscheidungsträger der Politik, Wirtschafts- und Medienvertreter sowie die interessierte Öffentlichkeit. Seit 2011 werden die IAMO Policy Briefs in unregelmäßiger Folge veröffentlicht.